Illustration zu einem Witz über die Verständnislosigkeit von Menschen
Bohn apart

Als Vorrede: Ein Witz

Unlängst ist mir ein Witz eingefallen, den ich als Kind gehört, aber damals wohl noch nicht wirklich verstanden hatte. Er umschreibt im Grunde sehr schön, was sich immer wieder um den Mythos von Narziss herum abspielt. Das ist nämlich im Grunde oft so lächerlich, dass es schon wieder geradezu witzig ist: Es gibt eine Menge Menschen, die ihr auffälliges Nicht-Verstehen demonstrieren, und doch mitreden wollen. Beispielsweise dann, wenn sie den Wikipedia-Pausanias-Fake-Mythos willfährig abschreiben. Oder dann, wenn sie dem Narziss „BeziehungsUNfähigkeit“ attestieren, weil er sich nicht wahllos auf sexuelle Abenteuer einlassen will, weder mit der blöden Echo, noch mit zwei Kerlen, die ihn bedrängen.

Ein Witz

Bei einer Abendgesellschaft, bei der auch Fritz Müller zugegen ist, weckt ein Gast die Aufmerksamkeit: Er bietet an, den Anwesenden eine Denkaufgabe zu präsentieren. Alle sind begeistert. So bittet dieser Gast die Dame des Hauses, ihm doch eine Handvoll Bohnenkerne zu bringen. Diese Bitte ist rasch erfüllt. Aus dem Häufchen, das nun vor dem Gast auf dem Teller liegt, nimmt dieser eine Bohne heraus und legt sie etwas abseits nieder. Dann deutet er auf die einzelne Bohne: „Was ist das?“ Alle denken angestrengt nach, niemand findet die Lösung. „Bohn apart!“ sagt schließlich der Gast – und ein herzhaftes Lachen erfüllt den Raum. Auch Fritz Müller ist davon angesteckt.

Kurz darauf ist Fritz Müller bei einer Abendgesellschaft mit gänzlich anderem Publikum zu Gast. Er erinnert sich des Scherzes, der so gut angekommen war, und bietet nun seinerseits an, den Anwesenden ein Rätsel aufzugeben. Alle sind begeistert, und so bittet er die Dame des Hauses, ihm doch eine Handvoll Bohnenkerne zu bringen. Diese verschwindet in der Küche, kommt aber erst nach längerer Zeit wieder zurück. Sie habe trotz angestrengten Suchens keine Bohnenkerne finden können. Ob er denn auch mit einer Handvoll Erbsen Vorlieb nehmen könne? Fritz Müller lässt sich frohgemut vernehmen: „Na klar, die tun’s auch!“ Aus dem Häufchen Erbsen nimmt er nun eine Einzelne heraus und legt sie etwas abseits nieder. Auf die einzelne Erbse deutend, fragt er triumphierend in die Runde: „Was ist das?“ Alle denken angestrengt nach. Niemand findet die Lösung. Schließlich bricht es aus Fritz Müller heraus: „Na – der Napoleon!“

Nicht verstehen – und doch mitreden wollen

Die ganzen Schreiberlinge, die sich auf so verständnislose Weise mit dem klugen Mythos des Narziss beschäftigen, wieder und wieder triumphierend ihre verständnislosen Fehldeutungen vortragen, erinnern mich an diesen Fritz Müller. Der Unterschied ist nur, dass diese Fritze und Friederiken Müllers in großer Zahl in „Wissenschaft“ und „Forschung“ vertreten sind, dass sie massenhaft den „Journalismus“, die „Berater-Szene“, die Kreise der „Intellektuellen“ dominieren, dass sie bei ihrem sinnlosen Gebrabbel stets von einem großen Publikum von Fritzen und Friederiken Müllers begeistert beklatscht, gelobt und geliked werden.

Fritze und Friederiken Müllers also – wo man nur hinsieht.

Derselbe „Witz“ spielt sich übrigens auch immer wieder um einen anderen Mythos herum – besser gesagt: um ein antikes Drama herum – ab: um den König Ödipus.